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Reise in das Land der Lager
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Über den Autor und weitere Mitwirkende
Julius Margolin, 1900 in Pinsk geboren, 1971 in Tel Aviv gestorben, wuchs in Russland auf, studierte Philosophie in Berlin und übersiedelte 1937 nach Palästina. 1941-1945 war er in einem Gulag am Weißmeerkanal inhaftiert. Sein 1947 verfasster Bericht erschien gekürzt: 1949 von Nina Berberova übersetzt in Paris, 1952 in New York auf Russisch, 1965 auf Deutsch. Erst 2010 erschien die erste vollständige Fassung - in französischer Übersetzung.
Produktinformation
Gebundene Ausgabe: 638 Seiten
Verlag: Suhrkamp Verlag; Auflage: 1 (11. November 2013)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3518424068
ISBN-13: 978-3518424063
Originaltitel: PuteSestvie v stranu ze-ka
Größe und/oder Gewicht:
14,7 x 3,7 x 21,6 cm
Durchschnittliche Kundenbewertung:
5.0 von 5 Sternen
7 Kundenrezensionen
Amazon Bestseller-Rang:
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das Buch habe ich noch nicht zu Ende gelesen. Allerdings schreibt der Autor, ähnlich wie Primo Levi, in sehr plastischer und lebendiger Art und vermittelt einen schockierenden Eindruck, obwohl für mich nicht neu, über die Zustände im sowjetischen Bereich Europas. "In den vorangegangenen neun Monaten hatte ich mich an die Fassade des sowjetischen Gebäudes gewöhnt, jetzt sah ich dahinter eine Räuberhöhle. Im ersten Moment war ich schockiert. Ich schämte mich. Ein quälendes , tiefes Gefühl der Scham wuchs in mir seit der ersten Minute, als ich die Schwelle jener Institution überschritten hatte, die für die ganze Sowjetunion zentral war. Diese brennende Scham quälte mich viele Tage lang, bis sie schliesslich ganz ausbrannte und erkaltete. An ihre Stelle trat ein ruhiger Hass auf die Betrüger, die die ganze Welt zum Narren hielten".Und: "Das Land, in das wir fahren, liegt weder in Europa noch in Asien. Wer die Russen für Europäer hält, irrt sich...". Und: "Sie haben von beiden Kulturen (Europa und Asien, persönl.Anmerkung!) das Negative übernommen..." Ein mehr als lesenswertes Buch insb. für jeden Romantiker des sowjetischen Systems...
Ich habe selten einen so differenziert analytischen Text über die Realität menschlicher Leidensfähigkeit und organisierte Grausamkeit des Sowjetsystems nach 1940-1945 gelesen. Julius Margolin, ein polnischer Jude, nutzt keinen anklagenden Pathos, aber er benennt messerscharf die entmenschlichten Bedingungen von sowjetischen Arbeitslagern, unter denen er fast bis zu seiner menschlichen Auslöschung gelebt hatte. Das sollte uns auch heute noch eine Warnung sein, zu was Menschen als Handlager von politischen Systemen fähig waren und möglicherweise auch fähig sind.
Ein sehr starkes Buch, sehr lesenswert. Es ist sehr schade, dass es keine vollständige Publikation des russischen Originaltextes gibt. Eine gekürzte Publikation ist angeblich vergriffen.
Ein spannendes und ergreifendes Buch! Margolin war ein Überlebenskünstler und trotz alle Widrigkeiten immer ein postiver Mensch. Lesenswert und lebendige Geschichte.
Ein tiefer Einblick, der selbst heutige Handlungsschemata noch zu erklären und beleuchten scheint. Beeindruckendes Buch. Absurd un doch real. Danke, Herr Margolin.
Julius Margolin (1900 - 1971) wurde in Piñsk (Ostpolen) geboren und studierte in den 1920igern Philosophie in Berlin, seit 1936 lebte er im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina. Im September 1939, auf einer Urlaubsreise nach Lodz, wurde er von der deutschen Invasion überrascht und geriet in die klassische "Zur Falschen Zeit Am Falschen Ort" - Situation. Polen einfach wieder zu verlassen, war zunächst nicht möglich. Die Ankunft der Deutschen aus westlicher Richtung, die Kollaboration der Polen und Ukrainer, die Sowietisierung des östlichen Polen. Wer Jude war, hatte (damals wie heute) schlechte Karten, im Jahr 1939 bedeutete das nur eines: Renne um Dein Leben, solange Du es noch kannst, nur . . . wohin?Margolin und viele andere Flüchtlinge, einige von Ihnen mit ausländischen Pässen, irrten in alle Himmelsrichtungen von Grenze zu Grenze, und versuchten verzweifelt, Polen zu verlassen, doch schnell wurde ihm bewußt, das ". . . man mich nicht ausreisen liess, war kein Missverständnis und keine bloße Verschleppung der Angelegenheit - es war der Anfang irgendeiner üblen Geschichte. Meine Situation war die einer Fliege, die sich auf einen Klebestreifen mit der Aufschrift 'Tod den Fliegen' gesetzt hat - sie kann zwar nicht lesen und weiß nicht, was Klebstoff ist, und begreift überhaupt nichts, aber all das braucht sie auch gar nicht, um im Bruchteil einer Sekunde voll Todesangst und Hilflosigkeit zu erkennen, dass sie nicht mehr loskommt, sie sitzt fest! . . . und das etwas nicht Wiedergutzumachendes, Furchtbares passiert ist."Schließlich gelang ihm mittels eines Flüchtlingstransfers der Weg nach Pinsk, in seine Geburtsstadt, wo er zunächst als Bibliothekar für die sowjetische Regierung arbeite. Aber auch er wurde er im Zuge der stalinistischen Säuberungswellen im Sommer 1940 verhaftet und in ein Straflager an den Weißmeerkanal deportiert. Während der zehntägigen Zugfahrt dorthin ". . . hatte ich ein seltsames Gefühl. In der Dunkelheit des rollendes Sarges, isoliert von der Außenwelt, verschwand die Empfindung, dass wir uns über die Erdoberfläche bewegten, und stattdessen kam es mir vor, als führen wir abwärts - immer weiter abwärts, unter die Erde, fort aus der Welt der Lebenden. . . . weiter von der Erdoberfläche entfernt, wo die Sonne schien und die Menschen einander anlächelten, wo man frei und ohne Angst atmen konnte."Es ist das Schlimmste, das einem Menschen widerfahren kann: der Familie entrissen zu werden, von einem auf den andern Tag nichts mehr zu haben als einen Koffer und einen Mantel, zunächst in einem untergehenden Land herumzuirren in der Gewissheit, vielleicht nur noch ein paar Tage zu leben, und schließlich gefangen und ins rechtlose Nirgendwo deportiert zu werden. Margolin wusste nicht, ob er in jedem, der sich einem entgegenstellt, den Feind sehen musste oder jemandem, dem er vertrauen konnte. Angekommen in den riesigen Lagern waren die Gefangenen einmal mehr abhängig von den Launen und der Bestechlichkeit kleiner Beamter und von der raubtierhaften Grausamkeit mitleidloser Mitgefangener, die einen wie die anderen oftmals an ihr eigenes Ãœberleben festgekrallt. Nicht wenige blieben noch nach Jahren beflissene Mitläufer und ängstliche Diener der schiefen und weltfremden menschenverachtenden kommunistischen Ideologie. Unter den Lagerinsassen selbst galt sehr oft das Recht des Stärkeren, die Wertvorstellungen der ihm bekannten freien Welt galten schnell nichts mehr, und für die mitinhaftierten, sozusagen "echten" Gewaltverbrecher galt ein warmer Mantel oder ein Stück Brot ohnehin genauso viel wie ein Menschenleben. Viele der körperlich schwächeren Gefangenen wurden von diesen sog. Lagerwölfen bestohlen und oftmals misshandelt. Doch Margolin überlebt schlimmste Arbeiten, Gewalt, Kälte, ständigen Hunger und Krankheiten, bis ihm endlich die Flucht durch mehrere Länder wieder zurück nach Tel Aviv glückte. Unmittelbar nach seiner wundersamen Befreiung schrieb Margolin seine Berichte über die sowjetischen Straflager nieder, Ende der 1940er Jahre erschien erstmalig in Frankreich eine gekürzte Ausgabe. Damals wurde die UdSSR als Helfer an der Seite der Vereinigten Staaten als Befreier gefeiert, was aber nur die halbe Wahrheit war. Niemand wollte etwas über die Gräueltaten und Arbeitslager des Stalinismus hören oder lesen, niemand interessieren die Opfer der Russianisierung zu ungunsten der Eliten, der Juden oder der ethnischen und politischen Minderheiten. Ãœber die zahlreichen Opfer des Ribbentrop - Molotov Pakts zu berichten, war damals politisch nicht korrekt und vielleicht auch uninteressant. Oberflächlich ist "Reise in das Land der Lager" ein sogenanntes Flüchtlingsdrama, doch beim genaueren Lesen eine kluge und sehr differenzierte Schilderung, wie sich ein Land und Menschen verändern, in das langsam Soldaten, Krieg und Vernichtung hineinwachsen und gezielt einen Teil der Bevölkerung (natürlich den schwächsten und schutzlosesten) für immer vernichten werden. Margolin beschreibt nicht nur die unheimliche, alptraumhafte Atmosphäre, in welcher den polnischen Juden der Boden unter den Füßen weggezogen wird und den puren Blutdurst der judenhassenden Deutschen und Polen, denen er gerade entfliehen konnte, sondern auch auf sowjetischer Seite die Gleichschaltung und Verurteilung zu härtester körperlicher Arbeit im Besserungs - und Umerziehungslager stalinistischer Coleur zum Wohl der Sowjetunion, denn dies sei:" . . . das Grundgesetz sowjetischen Lebens. Wer nicht arbeitet,soll auch nicht essen. In Eurer Arbeit liegt Eure Rettung. WennIhr schwach seid, wird die Arbeit Euch stark machen. Wenn Ihrkrank seid, wird die Arbeit Euch gesund machen. Außer Arbeit habtIhr im Lager nichts zu tun, aber wenn Ihr nicht arbeitet, gehtIhr im Lager zugrunde."Das Bittere an Margolins Buch - das ungeheuer spannend ist und mit großer Konzentration und Witz erzählt wird - ist die Tatsache, das seine Geschichte, so hart sie auch ist, immer noch die Ausnahme, die große Ausnahme war, kaum ein polnischer Jude, Kinder und Frauen hatte jemals diese Chance und dieses Glück, wenn man GULag und nachfolgende Flucht und schreckliche Odyssee durch sowjetische Lager überhaupt als Glück bezeichnen kann. Margolins Stil ist geprägt von präziser Beobachtung für Leid, für das Wesen der Verlorenheit der Menschen, aber auch für Absurdität, Verkehrtheit und Bösartigkeit der bestehenden Situation, die er mit Gogolscher Sprachkunst zu schildern versteht. Die Rezeption hingegen fiel seinerzeit offensichtlich bescheiden aus, was angesichts solcher Textstellen wie der nachfolgenden, in der das Lagerleben charakterisiert wird, eigentlich beschämend ist: "Wir lebten in einer verkehrten Welt. Hier transportierten nicht Waggons Menschen, sondern Menschen trugen Waggons auf dem Rücken. Hier erzogen die Analphabeten die Alphabetisierten, Verbrecher kommandierten Unschuldige herum. Gesunde schickten Kranke zur Arbeit. Lügner und Schwachköpfe überprüften jedes Wort und jeden Gedanken. Tote bekamen Briefe, aber die Lebende durften den Lebenden keine Nachricht schicken. Millionen Menschen wurden mit Hunden bewacht, damit sie nicht wegliefen. Niemand lebte dort, wo er wollte, niemand sagte, was er dachte, niemand arbeitete so gut, wie er konnte. Um hier zu landen, brauchte man kein Verbrechen zu begehen, es war der Aufenthalt an diesem Ort, der aus jedem Menschen einen Verbrecher machte. Gleich am morgen begann die verrückte Maskerade, nach der niemand mehr sich selbst glich. Jeder eilte an seinen Platz: Chauffeure gingen Holz fällen, Geiger Kartoffeln schälen, Bäcker Haare schneiden, Friseure Wasser schleppen, Intellektuelle Gräber schaufeln. Abends wurden die Ergebnisse überprüft. Sie waren schlecht. Also wurde alles umgeworfen: Am nächsten Tag fällten die Geiger Bäume, die Intellektuellen schleppten Wasser, die Chauffeure wurden als Sanitäter eingesetzt. Aber am Abend stimmte wieder nichts, und es ging so lange, bis endlich der Lagerleiter selbst ins Lager gesperrt wurde."Unterschiedlichste Menschen wurden in den Lagern für Jahre gefangen gehalten, Ihre nichtigen Vergehen (oder eigentlich keine!) und die aberwitzigen Anklagen, die Ihnen gemacht wurden, wurden in Ihrem Ausmaß an Schrecklichkeit nur noch von den Lebensbedingungen im Lager und dem Klima, dem sie 11 von 12 Monaten in den frostigen Öden in den russischen Wäldern des Nordens ausgesetzt waren, überboten. Hinter Margolins drehbuchreifen Beschreibungen unterschiedlichster Menschen schimmert das unermessliche Leid hindurch, im Lager fristen verschiedenste Typen ein gleichgeschaltetes und anonymisiertes Dasein:"Im Licht der untergehenden Sonne steht eine Wand von Männern in denphantastischsten Fetzen, in schmutzigen, zerrissenen, irgendwiezusammengebundenen Buschlats, aus denen rötlich gelbe Wattehervorquillt - ein Mosaik von mongolischen, slawischen, jüdischen undchinesischen Masken in wildem Durcheinander: Räubervisagen nebenRabbinerbärten, halbverhungerte greise Patriarchen, kluge Professorenmit verprügeltem Hintern, Gesichter, auf denen eine ganzeLeidensgeschichte geschrieben steht, neben solchen, die nur wüstesVergessen ausdrücken, ausgerenkte Kiefer und flachgedrückte Schädel,Jünglinge, die wie schwindsüchtige Affen aussehen, und Männer, diewie Jünglinge aussehen, auf die Hälfte ihres normalen Umfangs geschrumpft."Margolins sehr - und mag das Wort in diesem Zusammenhang auch unpassend erscheinen - unterhaltsames, kristallin und wortgewaltig formuliertes Buch ist Zeitgeschichte und auch ein Literaturgenre, nämlich das Genre der Lager - und Gefängnisliteratur, in diesem Fall eine atemberaubende, fesselnde und auch mit großer Menschlichkeit und Wärme verfasste Beschreibung des umfassenden Repressionssystems der Sowjetunion mit Zwangsarbeitslagern, Straflagern, Gefängnissen und VerbannungsÂorten, das zu einer rasch fortschreitenden Entmenschlichung der Insassen führt:"Das Bewusstsein der eigenen Würde - diese zerbrechliche und späteFrucht der europäischen Kultur - wird beim Lagerinsassen zertretenund vernichtet, noch bevor er das Lager selbst erreicht. Ein Mensch,dem zynische, grobe Gewalt angetan wurde und der nicht in Lage ist,sein Leiden als in irgendeiner Weise verdiente Strafe zu rechtfertigen,kann kein Selbstwertgefühl bewahren. Der Staat, mit seiner gewaltigenKraft einer organisierten Gesellschaft, hat ihn zerquetscht, ohne Grundund ohne Schuld seinerseits. In einem durchschnittlichen Lagerinsassenist alles unterdrückt. . . . Sogar ein Mensch aus dem Westen, demEigenwilligkeit und persönlicher Stolz im Blut liegen, kann seine Würdenicht bewahren, wenn er länger im Lager bleibt. Die sicherste Methode,einen Menschen lächerlich und verächtlich zu machen, besteht darin,ihn systematisch zu einer Arbeit zu zwingen, der er nicht gewachsen ist,und das in der Gesellschaft von Menschen, die stärker, geschickter sindals er und ihm feindlich gegenüberstehen. Ich habe im Lager einen altenverdienten Politiker gesehen, einen Rechtsanwalt aus der Westukraine,der beim Feuermachen im Wald nicht schnell genug war: Die kräftigenBurschen um ihn herum, allesamt Analphabeten, aber unendlich vielgeschickter als er, trieben ihn an und machten sich über ihn lustig. Demalten Mann standen Tränen in den Augen. Auch die Tragödie einesMenschen, der mit den anderen nicht Schritt halten kann und sichallmählich an den Gedanken gewöhnt, er sei schlechter als die anderen,weil er nicht zuwege bringt, was ihm zuwider ist, wirkt lächerlich."Diese Ausgabe ist die Ãœbersetzung der erstmalig 2010 erschienenen vollständigen Fassung aus dem Französischen. In diesem Zusammenhang möchte ich drei ähnliche Bücher empfehlen: - Primo Levi: "Ist das ein Mensch?" dtv - Verlag, München 1978. - Aleksander Wat: "Jenseits von Wahrheit und Lüge: mein Jahrhundert." Suhrkamp - Verlag, Frankfurt / Main 2000. Z. Zt. auf deutsch nicht erhältlich, hier der link zur englischen Ãœbersetzung: My Century (New York Review Books Classics) - Lidia Ginsburg: Aufzeichnungen eines BlockademenschenMargolins Buch zeigt einmal mehr: Immer war und ist die Wirklichkeit schlimmer als jede Fiktion, und Straflager gibt es in den GUS - Staaten immer noch - ganz offiziell.
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